Lippeportal - April 2024

Alte Hasen und junge Hüpfer auf zwei Rädern

April 2024

Es ist Frühling und die Zeit ist gekommen, mein rostfreies Stahlross aus dem Winterschlaf zu erwecken. Wie jedes Jahr fühle ich mich wie ein Ritter, der nach langer Reise sein treues Ross und in meinem Fall ein Fahrrad besteigt. Das Gefährt ist zwar mittlerweile sogar elektrisch angetrieben und statt eines Schwertes halte ich eine Fahrradklingel in der Hand, aber die Romantik bleibt bestehen.

Ich erinnere mich noch genau an den Tag, als ich nach der langen Winterpause meine erste Radtour startete. Es war ein sonniger Morgen, die Vögel zwitscherten und ich konnte die Fahrradsaison förmlich riechen. Nur der Sattel hatte offensichtlich vergessen, dass er eine Sitzgelegenheit und kein Mittel zur Folter ist.

Dort war ich, ein merkwürdiger älterer Herr auf einem E-Bike, der in langsamer Fahrt den Frühling genoss. Doch die Idylle sollte nicht lange währen. Ein junger Mann in knallbunter Fahrradmontur und einem Helm, der aussah wie ein missglücktes Origami, schoss wie eine Rakete an mir vorbei.

In diesem Moment übernahm mein Ehrgeiz. Oder war es meine Eitelkeit? Oder vielleicht einfach der extragroße Kaffee an diesem Morgen? Ich weiß es nicht mehr. Aber plötzlich spürte ich ein Verlangen, diesem jungen Hüpfer zu zeigen, dass ich trotz meines fortgeschrittenen Alters und meiner Vorliebe für Kekse noch lange nicht zum alten Eisen gehöre.

So schaltete ich mein E-Bike auf "Turbo" und nahm die Verfolgung auf. Nun, um ehrlich zu sein, es war eher ein gemütliches Hinterherfahren als eine wilde Jagd. Aber das Bild, wie ich mit klopfendem Herzen und wehenden Haaren diesem Rennrad-Rambo hinterherjage, ist einfach zu schön. Obwohl, naja, das mit den wehenden Haaren nimmt mir ja sowieso keiner ab.

Zurück zum Thema: Er war schnell, sehr schnell sogar. Aber ich hatte etwas, was er nicht hatte: einen hilfreichen, lautlosen Motor und die Weisheit des Alters. Nach ein paar Minuten war es soweit. Mit einem Lächeln, das breiter war als mein Fahrradsattel, überholte ich ihn. Ich rief ihm ein freundliches "Guten Tag, junger Mann!" zu, während ich an ihm vorbeizog und ihn in meinem Windschatten zurückließ.

Es war ein Triumph, ein süßer Sieg, der mir zeigte, dass man auch mit grauen Haaren (und wenn es auch nur Barthaare sind) und einem E-Bike noch immer den jungen Wilden die Stirn bieten kann. Und obwohl mein Hintern am nächsten Tag seine Unzufriedenheit über den harten Sattel mit einer eindrucksvollen Symphonie von Schmerzen ausdrückte, bereute ich nichts.

So, liebe Leser, wenn ihr also das nächste Mal einen älteren Herrn auf einem Zweirad seht, unterschätzt ihn nicht. Denn hinter dieser freundlichen Fassade und dem gemütlichen Tempo könnte sich ein wahrer Fahrrad-Gladiator verbergen, der nur darauf wartet, seine Überlegenheit zu demonstrieren. Und denkt immer daran: Der Frühling ist die Zeit der Erneuerung, des Aufbruchs und der Helden, die aus ihrem Winterschlaf erwachen. Auch wenn sie auf E-Bikes sitzen und nach Keksen riechen.

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